Ja, Bitcoin wird für illegale und gefährliche Zwecke eingesetzt. Doch die Kryptowährung bringt den Tätern weniger Anonymität, als diese glauben mögen, wie ein Team der Universität von Berkeley zeigt.
Viele Prostituierte bieten ihre Dienste nicht freiwillig an. Sie werden vielfach verschleppt, verkauft und unter Gewalt zur Prostitution gezwungen. Dieses Dienstleistungsangebot verlagert sich immer mehr ins Netz, um den Freiern einen bequemen und sicheren Zugang zur Ware Mensch zu bieten. Bitcoin und Wissenschaft können dabei helfen, Sexhandel von freiwilligen Angeboten zu unterscheiden und die Hintermänner aufzudecken.
Schritt 1: das Angebot
Es gibt eine Vielzahl an Websites mit Sex-Angeboten. Eine der größten weltweit war lange Zeit die Kleinanzeigenseite Backpage.com. Bisher mussten Aufdecker manuell tausende Anzeigen pro Tag lesen, um herauszufinden, wo eventuell Sexhandel im Spiel ist. Das ist aufwändig und für die Psyche der Aufdecker natürlich sehr belastend. Doch welche Indizien gibt es für Sexhandel? Wenn ein und derselbe Autor viele Anzeigen mit vielen verschiedenen Sex-Angeboten erstellt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass darunter unfreiwillige Sexdienste sind.
Schritt 2: Künstliche Intelligenz
Rebecca Portnoff von der University of California, Berkeley hat mit ihrem Team einen Algorithmus entwickelt, der so genanntes Machinelearning betreibt. Die Software wird mit Textmustern gefüttert, die auf Sexsklaverei hindeuten können. Dann findet die Software passende Angebote. Mit jeder Suche verfeinert sich der Algorithmus von selbst.
“Unsere Technologie findet Verbindungen zwischen den Anzeigen,” erklärt Portnoff. “Ist der Zuhälter hinter der Anzeige auf Backpage auch der bei Craigslist? Ist er der gleiche Mann, der Bitcoin für versklavte Sexarbeiterinnen bekommt? Diese Fragen sind nur mit fortgeschrittener Technologie wie unserem Algorithmus zu beantworten.” Der erste Teil von Portnoffs Software basiert auf Stilometrie – das ist die Analyse von Textteilen, um Anhand von Sprachverwendungsmustern sagen zu können, ob zwei Texte vom selben Autor*in stammen.
“Es gibt Hunderttausende dieser Anzeigen, die jedes Jahr platziert werden,” ergänzt Portnoffs Kollege Damon McCoy. “Jede Technik, die Gemeinsamkeiten zwischen Anzeigen ans Tageslicht bringt und potenziell die Besitzer beleuchtet, ist ein großer Schub für diejenigen, die daran arbeiten, die Ausbeutung einzudämmen.”
Schritt 3: Auftritt Bitcoin
Da Backpage das weltweit meistgenutzte Portal für Sexdienste ist, verweigern Visa, Mastercard und Co. dem Betreiber die Möglichkeit, Online-Bezahlung mittels Kreditkarte anzubieten. Daher werden die Anzeigen am ehesten mit Bitcoin bezahlt.
Schritt 4: Von wegen Anonymität
Die Bitcoin-Transaktionen sind im in der öffentlichen Blockchain gespeichert. So kann das Team von Portnoff herausrechnen, welche Bitcoin-Adressen viele verschiedene Anzeigen schalten. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass dahinter eine größere Organisation steckt und sich damit die Wahrscheinlichkeit des Sexhandels erhöht. Doch wie ist das möglich? Man kann zwar in der Blockchain einsehen, dass die Adresse A an die Adresse B Bitcoin schickt, aber man weiß nicht wer A und B ist.
Schritt 5: Sherlock Holmes für Mathematiker*innen
Die Art, wie Portnoff das schafft ist des Genies Sherlock Holmes würdig. Normalerweise verläuft eine Bitcoin-Transaktion so: Adresse A schickt Adresse B Bitcoin. Adresse B registriert das und wartet darauf, dass die Transaktion vom gesamten Netzwerk validiert wird. Das dauert zwischen 10 Minuten und mehreren Stunden. Erst dann ist die Transaktion abgeschlossen. Die Webpage Backpage.com möchte aber nicht so lange warten. Denn die Kunden füllen das Profil aus, senden Bitcoin und sollen es sofort online gestellt bekommen. Backpage riskiert damit, dass die Transaktion nicht validiert wird. Das ist ihnen egal, die Transaktion wird also sofort abgeschlossen. In der Blockchain wird die Transaktionszeit auf die Millisekunde genau vermerkt und auf dem öffentlichen Profil von Backpage.com auch. Portnoff nimmt nun den Backpage-Zeitstempel und vergleicht mit allen Bitcoin-Transaktionen in der Blockchain. So findet sie zusammengehörige Transaktionen. Dann gruppiert sie Bitcoin-Adressen und kann herausfinden, wenn von einer Adresse viele Anzeigen bezahlt werden.
Dies ist eine verkürzte Darstellung. In Portnoffs wissenschaftlichen Papier breitet sie den Prozess auf zehn eng beschriebenen Seiten aus.
Schritt 5: Ab zum FBI damit
Die von Rebecca Portnoff gesammelten Daten lassen sich nun prima verknüpfen. Wurden mit den Bitcoin-Adressen andere Dinge bezahlt, die vielleicht zu Telefonnummern oder Email-Adressen führen? Werden die Bitcoin in Wechselbörsen mit Kreditkarte gekauft und lassen sich diese Daten per Gerichtsbeschluss einsehen? Portnoff sagt, dass NGOs und Behörden entweder schon großes Interesse an ihrem Programm hat, oder dies sogar schon verwenden.
Im Übrigen wurde Backpage.coms CEO Carl Ferrer im Oktober 2016 wegen der Ermöglichung erzwungener Prostitution festgenommen. Die Anschuldigung wurden zwar auf Geldwäsche reduziert, aber immerhin bekannte sich Ferrer in diesem Punkt schuldig, Backpage.com wurde vom FBI vom Netz genommen.
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