Charlie Shrem: vom Millionär zum Tellerwäscher
Mar 06, 2022 Marcell Nimführ lesezeit 8 Mins.
Unchained. The Blockpit Magazine blickt zurück auf die bewegte Geschichte von Bitcoin & Co. und besucht in einer Zeitreise einen der ersten Bitcoin-Millionäre, Charlie Shrem.
„Im Gefängnis hast du es umso schwerer, je bekannter du bist. Denn dort wirst du nachdem beurteilt, wer du als Mensch bist. Ich mag das. Ich glaube, dass ich ein ganz passabler Mensch bin. So will ich beurteilt werden. Nicht für diese Bitcoin-Sache.“
„Ich bin einer der ersten 10 Menschen, die mit Bitcoin in Berührung kamen. Ich bin ein Kapitalist und ich wollte Geld verdienen. Und das haben wir getan.“
Diese zwei Statements stammen von Charlie Shrem, der eine bemerkenswerte Karriere zurückgelegt hat. Aus einem soliden US-amerikanischen Mittelstand heraus wird er dank Bitcoin mit 22 Jahren zum Millionär, nur um mit 25 nach einer Haftstrafe wegen Geldwäsche als Tellerwäscher für 8 Dollar die Stunde zu arbeiten. Doch da die Bitcoin-Welt einer Achterbahn gleicht, ist Charlie schon wieder obenauf.
„Mein Vater hat mir immer den Wert des Geldes klargemacht.“ Schon in der Highschool verdient Charlie einige Hundert Dollar pro Woche mit dem Reparieren und Konfigurieren von Computer und Software von Nachbarn.
„Am Tag als ich 18 wurde, lag eine Kreditkarte in meiner Post. Mit einem Überzugsrahmen von 6.000 Dollar. Die habe ich sofort ausgegeben. In Pizzaläden und was weiss ich noch. Flugstunden. Dumme Sachen halt.“
Als Charlie die Highschool abschließt, hat er 10.000 Dollar Schulden. Als Charlies Vater das herausfindet, muss er einen Kredit auf das Haus aufnehmen. Charlie stottert über zwei Jahre hinweg die Schulden ab und ist sich sicher: ab jetzt muss er vernünftig sein.

Mit 19 bastelt er einen Webshop für ein Warenhaus, das Ausschusswaren im Internet verkaufen möchte. Er arbeitet auf Kommissionsbasis und die Seite wird ein kleiner Erfolg. Andere Großhändler rufen an und wollen ebenfalls abverkaufen. Charlie verdient damit 600 Dollar pro Woche.
Shrem besucht die Abendschule des Brooklyn College und belegt Wirtschaft. Dort lernt er die Austrian School of Economics kennen, einen Zirkel von aus Österreich stammenden Wirtschaftswissenschaftern um Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek. Die Theoretiker stellen schon Ende des 19. Jahrhunderts die These auf, dass ein Staat am besten funktioniert, wenn die Regierung sich aus allem raushält und den Markt entscheiden lässt.
Die Österreicher sind die Helden der Bitcoin-Enthusiasten, schließlich ist die Kryptowährung keine staatliche mehr, sondern rein marktbasierend.
„Ich begriff, dass Bitcoin die gesamte Theorie der Austrian School nimmt und in die Praxis übersetzt.“
Charlie fühlt, dass er sich von seiner stark gläubigen jüdischen Familie und deren Intoleranz gegenüber der Welt im Ganzen distanzieren muss. „Plötzlich habe ich mit der Bitcoin-Community eine Art neue Familie. Gerade zu Beginn von Bitcoin hatten wir alle ein gemeinsames politisches und soziales Ziel: das Finanzsystem zu revolutionieren. Es ist egal, wer du bist, du wirst zum Teil der Familie.“

Charlie hat die richtige Idee zur richtigen Zeit. Er gründet BitInstant und ermöglicht mit Zahlungspartnern, dass Kunden von Supermärkten wie Walmart oder 7-11 in Automaten bequem und einfach Bitcoin kaufen können. BitInstant erhält dabei ein paar Prozent Kommission. „Nach ein paar Monaten konnte man Bitcoin an einer Million Stellen in den USA kaufen.“ BitInstant wächst um das Anderthalbfache – jeden Monat. Investoren steigen ein, das Büro wird größer, es kommen 30 Angestellte hinzu. Innerhalb kurzer Zeit laufen 30% aller weltweiten Bitcoin-Käufe über BitInstant. Charlie Shrem macht ein Geschäft, als alle anderen sich noch überlegt haben, was sie mit Bitcoin überhaupt anstellen sollen.
„Wir haben Bitcoin zu dem gemacht, was es heute ist. Das ist mein Vermächtnis.“
Charlie wird reich und er wird übermütig. „Stell dir vor: ich bin 22 Jahre alt, hab eine halbe Million Dollar am Konto, besitze einen Nachtclub und geh mit einer wunderschönen Frau aus. Ich habe mich gefühlt, als würde mein Mist nicht stinken.“
Die Mühlen des Staates mahlen langsam, aber sie mahlen. Im März 2013 erlässt die US-amerikanische Regierung eine regulatives Gesetzt in Sachen Bitcoin. Damit wird BitInstant rechtlich gesehen zum Geldüberweiser – ähnlich Western Union – und braucht eine Lizenz, die es natürlich nicht hat. Das ist nach E-Gold ein weiteres Unternehmen, das nachträglich in die Kriminalität gerät. Doch BitInstant hat ein dringlicheres Problem.
„Meine Anwälte sagten mir, dass wir in einer gefährlichen Situation sind. Einer meiner Kunden kaufte bei mir Bitcoin und verkaufte sie auf der Darknet-Seite Silk-Road weiter. Damit konnten andere dann ihre Drogen dort bezahlen. Und ich wusste davon. Es war mir damals lange Zeit egal. Meine Anwälte schrieben mir einen Brief und sagten, dass sie mich nicht mehr vertreten können, wenn ich nicht sofort das Unternehmen schließen würde.“
Noch an diesem Tag im Juli 2013 folgt Charlie Shrem dem Rat der Anwälte. „Ich dachte, damit wäre alles gut. Niemand hat Geld verloren, ich wurde nicht mit der Hand in der Keksdose erwischt.“

Acht Monate später wird Charlie am New Yorker Flughafen verhaftet und wegen Geldwäsche und unlizenziertem Geldtransfergeschäften angeklagt. Einer der Beweise gegen ihn ist eine E-mail an den Bitcoin-Verkäufer Robert Faiella:
„Ich weiß du bist auf Silkroad und du verkaufst dort Drogen und du solltest damit aufhören.“ E-mails sind gefährlich, selbst wenn sie gut gemeint sind. „Das war die rauchende Pistole, damit war der Beweis erbracht, dass ich von diesen illegalen Tätigkeiten wusste.“
Charlie nimmt sich den besten Anwalt. „Der hat mehrere hunderttausend Dollar gekostet. Ich ging ins Gefängnis mit einem Besitz von genau 16.000 Dollar“ Er bekennt sich schuldig und wird zu zwei Jahren Gefängnis, eines davon auf Bewährung verurteilt.
„Im Gefängnis gibt es keine Freunde. Jeder hat seine eigenen Ziele. Manchmal überdecken sich mit Insassen die eigenen Ziele. Manchmal helfen einem Leute. Ich habe viel gelesen und dabei immer das Zellenlicht angelassen. Eines Nachts kommt so ein riesen Typ – ein Gangleader – ganz nah an mein Gesicht und sagt: „Hey Shrem, wir versuchen hier zu schlafen und das Licht blendet uns.“ Ich zittere vor Angst. Dann sagt er: „Hier nimm mein Buchlicht und gib es mir zurück, sobald du ein eigenes hast.“
Jede Strafe geht einmal zu Ende. Auch die von Charlie Shrem: „Du bereitest dich auf den Tag vor, wo du entlassen wirst. Du weißt das ein paar Wochen vorher. Du wachst in der Früh auf, sie nehmen alle deine Sachen, dann geht’s zu Processing. Es dauert etwas länger. Ich krieg Angst, ob sie mich wirklich rauslassen. Doch dann bekomme ich meine Schachtel und denk mir: „lass uns schnell abhauen, bevor die auf andere Gedanken kommen.“
„Ich war schuldig, ich habe meine Zeit abgesessen und jetzt kann ich weitermachen. Draußen habe ich die ersten zwei Monate den Computer nicht angemacht. Kein Mobiltelefon, ich habe noch nicht mal den Menschen erzählt, dass ich draußen bin. Ich war nicht bereit. Ich habe mich einfach gefreut, in der Früh einen Kaffee zu trinken. Ich machte meinen Job als Tellerwäscher, denn ich musste sechs Monate lang einen richtigen Job haben. Einen, der nicht mit Internet zu tun hatte. Zuerst dachte ich, dass das Gefängnis eine Lektion in Demut sei, aber 11 Stunden am Tag Teller zu waschen…“
Charlie Shrem lebt den amerikanischen Traum rückwärts, vom Millionär zum Tellerwäscher. Es klingt seltsam, aber für Charlie bedeutet das Gefängnis, finanziell unabhängig zu sein. „Nachher wollte ich lange Zeit nicht mehr der Sklave des Geldes sein. Miete zahlen, Handyrechnung und so.“
Und seither? Charlie kauft und verkauft Bitcoin. Seine Anlagestrategie lautet: Ein Drittel in Bitcoin, ein Drittel in harten Währungen, ein Drittel in Immobilien. „Bitcoin ist ein Experiment, das könnte auch auf 0 fallen. Ich kann nicht alles riskieren.“ Dennoch ist Shrem mehr Blockchainer, denn je.
„Ich bin begeistert davon, [Menschen] das Licht zu zeigen und das Evangelium zu predigen.“