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Cryptocurrency

Kryptowährungen: Balsam oder Zündstoff in Zeiten des Krieges?

Jun 21, 2022 Megan DeMatteo lesezeit 6 MIN

In etwas mehr als einem Jahrzehnt haben Kryptowährungen die Globalisierung beschleunigt und eine Welt geschaffen, in der Banken und zentrale Behörden für den Austausch von Geld, Waren und Informationen immer weniger gebraucht werden. Die nächste naheliegende Frage ist also, ob bei internationalen Konflikten wie der aktuellen Invasion in der Ukraine die Zentralbanken und Regierungen Lösungen finden müssen?

Die jüngsten internationalen Ereignisse zeigen, wie die mehr als 300 Millionen Menschen, die weltweit Kryptowährungen besitzen, die Blockchain-Technologie als Ausweg nutzen, um in globalen Konflikten zu intervenieren, Menschen in sanktionierten Ländern eine Chance zu geben oder private Spenden anstelle von oder als Ergänzung zu staatlicher Hilfe bereitzustellen. Doch kann sich eine vertrauenslose, algorithmische Währungsklasse in einem globalen Netz positiv auswirken?

Die Gründe für private Krypto-Beihilfen

Anfang dieses Jahres kaufte die Ukraine militärische Ausrüstung mit den über $50 Millionen an Kryptospenden, die sie von Privatpersonen in den Tagen nach der russischen Invasion in die Ukraine erhielt. Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt mobilisierten sich privat, um zu helfen – ohne die Notwendigkeit, Geld über staatliche Vermittler zu leiten oder gewählten Vertretern bei der Zuteilung von Steuergeldern zu vertrauen.

Und während diese beeindruckende Mobilisierung weltweit stattfindet, werden die Handlungen von Finanzinstituten und Regierungen deutlich genauer unter die Lupe genommen. Jetzt, nachdem uns Krypto einen anderen Weg gezeigt hat, sind Privatpersonen weniger tolerant gegenüber staatlicher und institutioneller Kontrolle? 

Zum Beispiel berichtete die amerikanische Kryptowährungsseite CoinDesk vor kurzem darüber, dass PayPal zwei alternative Medienorganisationen, Consortium News und MintPress, wegen einer, wie manche meinen, kontroversen Berichterstattung über den Krieg ausgeschlossen hat. Berichten zufolge fror PayPal Gelder in Höhe von fast $10.000 ein (die inzwischen zurückerstattet wurden), was bei den Anti-Establishment Organisationen und der unabhängigen Presse große Alarmglocken schrillen ließ. Der Op-Ed-Reporter Daniel Kuhn nutzte das Ereignis, um die Gründe für die Existenz dezentraler Währungen zu erläutern. 

In ähnlicher Weise hat das Vorgehen der kanadischen Regierung weltweit heftige Kritik ausgelöst, als ein oberster Gerichtshof in Ontario private Spendengelder für die Unterstützung protestierender Trucker stoppte.

Dank des dezentralen Charakters von Kryptowährungen gibt es neue Möglichkeiten, Finanzmittel in die Hände des Volkes zu legen – ohne Mitspracherecht der Regierung. Diese Tatsache wirft interessante Fragen über die Rolle von Kryptowährungen in internationalen Konflikten auf.

Wer sind wir ohne Banken?

Hunderte von Jahren lang haben zentralisierte Institutionen wie die Kirche oder in jüngerer Zeit die weltlichen Nationalstaaten den Menschen eine Organisationsform geboten, in der sie Zugehörigkeit, Identität und Souveränität fanden. Doch dank des Internets und des schnellen globalen Reisens haben Menschen neue Möglichkeiten, Gemeinschaft und Gemeinsamkeiten überall auf der Welt zu finden.

Und wenn das Internet Information ohne Grenzen ist, dann ist Krypto Geld ohne Grenzen. Die Blockchain-Technologie ist darauf ausgelegt, nicht an Geografie, Institutionen oder Geldtransferdienste gebunden zu sein. Jeder, der eine selbstverwaltete Wallet besitzt, kann Kryptowährungen senden oder von einer anderen Wallet empfangen. Wenn mit einem virtuellen privaten Netzwerk (VPN) und einem Wallet gearbeitet wird, das keine KYC-Anforderungen (Know-Your-Customer) stellt, kann es sogar völlig anonym erfolgen. Ganz zu schweigen davon, dass neue Metaverse-Startups faszinierende virtuelle Realitäten schaffen, in denen sich jeder über einen Avatar mit anderen anfreunden und gemeinsame Erfahrungen sammeln kann. 

Das bedeutet natürlich nicht, dass Kryptowährungen jemals die Stärke eines gesetzlichen Zahlungsmittels (auch bekannt als Fiat-Währung) haben werden. „Es wurde darüber spekuliert, wie privates Geld idealerweise funktionieren könnte“, sagt Brandon Neal, Chief Operating Officer beim DeFi Lending Protokoll Euler. Bevor er zu Euler kam, war Brandon Neal zehn Jahre lang bei der Federal Reserve Bank of New York tätig, wo er sich einen Platz am Handelsschalter verdiente und Wertpapiere kaufte und verkaufte, um die Geldpolitik umzusetzen.

„Vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg gab es eine Vielzahl an privaten Geldformen, die durch physische und geografische Beschränkungen limitiert waren, und das hat nicht gut funktioniert“, erklärte mir Brandon. „Die Verwaltung der Geldversorgung war einer der Gründe, weshalb einige Jahrzehnte später die Fed in den USA gegründet wurde.“ Private Gelder des 19. Jahrhunderts waren ineffizient, kostspielig und anfällig für die Probleme, die jeder neue Markt mit sich bringen würde. 

Aber heute ist Krypto qualitativ anders als das Privatgeld der Vergangenheit. Wir können zweifellos schneller und effizienter Transaktionen durchführen. Die Blockchain zeichnet dabei alle Transaktionen in einem unzerstörbaren Hauptbuch auf. 

Doch „selbst die innovativsten Branchen sind immer noch den zeitlosen Launen der Märkte unterworfen“, so Brandon. 

Ist Krypto die Zukunft?

Sobald wir neue Freiheiten entdecken, will die menschliche Natur immer mehr. Das ist zumindest das Argument von Sean Ellul, Mitbegründer von Metaverse Architects, einem Unternehmen, das Grundstücke in Metaverse Welten, wie Decentraland, entwickelt.

„Das Internet war der erste Katalysator im Hinblick auf den Informationszugang … Anschließend bauten die sozialen Medien darauf auf und ermöglichten es den Verbrauchern, sich selbst einzubringen … Plötzlich konnte man soziale Gruppen mit Menschen von überall auf der Welt bilden. Diese Gruppen basierten nicht mehr auf der traditionellen Identität in Bezug auf den Geburtsort oder die eigene Person, sondern darauf, wie man sich mit den Ideen der anderen identifiziert.“ 

Nach den sozialen Medien haben wir nie wieder zurückgeblickt, argumentiert Sean. Und nun befindet sich die Währung in einem Stadium der Evolution. Was hält einen amerikanischen Bürger, einen venezolanischen Bürger und einen deutschen Bürger davon ab, Geld auszutauschen, während sie online Metaverse-Spiele miteinander spielen? Bis vor kurzem war es die Infrastruktur – ich konnte nicht einfach sofortige Zahlungen an meine Freunde in der östlichen Hemisphäre schicken, während ich mitten im ländlichen Pennsylvania lebte. Die Blockchain jedoch – zumindest wie es vorgesehen ist – bietet eine neue Infrastruktur für Open-Source Hauptbuchführung, Verantwortung und Vertrauen. Und das, argumentiert Sean, ist „unglaublich“.

Wie Krypto bereits die internationale Regierungsführung auf den Kopf stellt

Wir haben bereits das Beispiel der weltweiten Krypto-Spenden, die gesammelt und an kriegführende Länder gesandt werden. Aber es gibt noch einen weiteren Akteur in diesem globalen Bild, die aufkommende Governance-Struktur, bekannt als DAO (dezentralisierte autonome Organisation).

Sean betrachtet DAOs als eine Stufe über der Demokratie, in der die Bürger einen Vertreter für eine bestimmte Zeit wählen, in der Hoffnung, dass dieser gute Entscheidungen im Namen seiner Wähler trifft. Durch die Bildung von DAOs können sich Gemeinschaften selbst organisieren, ihre eigenen Währungen prägen und alle Abstimmungs- und Steueraufzeichnungen auf der Blockchain speichern. Dieses Modell ist – zumindest in der Theorie – den gegenwärtigen Regierungen überlegen. Wie können wir Gesetzgebern wirklich vertrauen, argumentiert Sean, wenn die Transparenz der Regierung im Vergleich zur Transparenz der Blockchain verblasst?

„Diese Technologien [d.h. DAOs, Blockchain und Krypto] werden das Konzept des Nationalstaats in Frage stellen“, sagt Sean. „Ich bin davon überzeugt, dass einer der Gründe, warum die Wahlbeteiligung weltweit sinkt, darin liegt, dass sich die Menschen nicht mehr mit ihrem Herkunftsort identifizieren und ständig einem globalisierten Konstrukt ausgesetzt sind.“

Ann Brody, eine Doktorandin in Montreal und Forscherin am Metagovernance Project, erforscht dieses Konzept in Echtzeit, während sie sich über die Macht von DAOs bei der Zuteilung von Geldern an Frauen in sanktionierten Ländern informiert.

Letztes Jahr war Ann an einer Gruppe von Leuten beteiligt, die einen Förderantrag zur Finanzierung einer Blockchain-Ausbildung für Farsi sprechende Frauen stellte, damit diese in Zukunft am globalen Arbeitsmarkt teilhaben können. Der Zuschuss mit dem Titel „Free Smart Contract Development Course for Farsi Speaking Communities“ (Kostenloser Smart Contract Entwicklungskurs für Farsi sprechende Gemeinschaften) wurde jedoch deaktiviert. da das Geld an Einzelpersonen im Iran ging. Bevor die Förderung gestrichen wurde, hatte das Ethereum-Softwareunternehmen Consensys Berichten zufolge auch 50 iranischen Studenten die Teilnahme an Programmierkursen untersagt.

„Ich arbeitete ehrenamtlich mit einer Gruppe von Frauen zusammen und schrieb einen Förderantrag, um Geld von Gitcoin zu bekommen“, erzählte mir Ann. Gitcoin ist eine Organisation, die bei der Finanzierung von Open-Source Projekten auf Ethereum-Basis hilft.

„Wir haben einen Antrag auf Finanzierung gestellt, um einen Teil der Übersetzungsarbeit zu leisten, denn viele Inhalte im Bereich Blockchain und Blockchain-Programmierung sind auf Englisch, was für viele Menschen auf der ganzen Welt eine große Herausforderung ist“, so Ann.

Die Freiwilligen wollten Geld für die Übersetzung von Bildungsressourcen in die farsische Sprache erhalten. Doch als Gitcoin den Zuschuss deaktivierte, wurde Ann noch überzeugter von der Macht der DAOs, weltweit Möglichkeiten zu erschließen, die traditionelle Institutionen nicht bieten können. 

Tatsächlich haben einige vollständig dezentralisierte Krypto Projekte die DAO-Struktur anstelle einer traditionellen Gesellschaft gewählt. Dies öffnet jedem, der über die richtigen Fähigkeiten verfügt, die Tür, um an neuen Blockchain Projekten teilzuhaben und dafür entlohnt zu werden, unabhängig davon, wo er lebt.

„Du richtest einen VPN ein“, sagte Ann. „Man kann weiterhin an Projekten arbeiten. Viele Leute stellen immer noch Personal aus sanktionierten Ländern ein. Dabei kann man anonym sein (oder auch nicht) und an diesen Open-Source Projekten teilnehmen. Viele der Frauen von Women in Blockchain Farsi haben Jobs bekommen. Im Moment nehmen sie an Web3 teil und erhalten dadurch neue Möglichkeiten. Es ist also sehr aufregend.“

Steht die Bank immer hinter einem?

Es ist unklar, wie genau Krypto die Kontrolle von zentralisierten Regierungen und Institutionen über das Finanzsystem durchbrechen wird – aber es ist absehbar.

Im Vorwort ihres Buches „Die unendliche Maschine“ erinnert sich die Autorin Camila Russo an den ersten Moment, in dem es für sie bei Kryptowährungen Klick machte. Im Jahr 2013 lebte sie in Buenos Aires, Argentinien, und berichtete für Bloomberg News. Russo erlebte die zweistellige Inflation zusammen mit den argentinischen Bürgern am eigenen Leib. Sie tauschte ihr Gehalt in US-Dollar um, bis die ehemalige Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner das Land überraschte und Ende 2012 den Umtausch von Pesos in Dollar blockierte.

Kirchner, die zugegebenermaßen ein Vermächtnis der Zahlungsunfähigkeit geerbt hatte, wurde später wegen Manipulation der Wirtschaft angeklagt. Argentinien kämpft noch heute mit den Auswirkungen der finanziellen Turbulenzen und dem eingeschränkten Zugang zu seiner Währung.  

Russo erkannte das Problem und schrieb: „Die Regierung wertete ihre Währung mit populistischer Politik ab und jetzt konnte ich nicht einmal meine eigenen Ersparnisse vor ihrem wirtschaftlichen Missmanagement schützen. Das war völlig legal. Es war die Regierung, die das tat.“

Russo war verunsichert und wusste nicht was sie machen sollte. Als ein Kollege ihr von dieser „seltsamen digitalen Währung“ erzählte, fand sie ihren Weg zu Bitcoin. Sie beschloss, über diese Erfahrung zu schreiben, und begann, Kryptobesitzer zu interviewen, um deren Perspektive zu erforschen. 

„Die Menschen, die ich für meinen Artikel befragt habe, haben ihr ganzes Leben lang mit einer Form der Inflation und/oder Währungskontrollen gelebt, ebenso ihre Eltern“, schrieb Russo. „Sie verstanden sofort, wie wichtig es war, eine Währung kaufen zu können, die nicht kontrolliert und daher auch nicht gestoppt oder beschlagnahmt werden kann. [Bitcoins] Wechselkurs wurde von Algorithmen und Computercodes bestimmt, nicht von den Launen der Politiker und Zentralbanker.“

Krypto und internationale Konflikte: Balsam oder Zündstoff?

Wenn man mit jemandem über Kryptowährungen im Allgemeinen spricht, stößt man mit Sicherheit auf einige Skeptiker. Und eine Erklärung hilft nicht immer weiter – es handelt sich um eine unzuverlässige, genehmigungsfreie und algorithmische Technologie, die ohne die Unterstützung einer zentralisierten Behörde existieren soll. Das liberale Ethos ist im Kryptobereich sehr präsent und wird durch das Motto „Vertraue nicht, überprüfe“ veranschaulicht, was darauf hindeutet, dass die Teilnahme an Krypto eine Aktivität „auf eigene Gefahr“ ist.

Inzwischen ist es aber mehr als nur eine Aktivität. Nach Angaben der Preisverfolgungs-Website CoinMarketCap gibt es heute zusätzlich zum ursprünglichen Bitcoin über 19.000 weitere Arten von Kryptowährungen. Der Gesamtwert aller Kryptowährungen beläuft sich zum Redaktionszeitpunkt auf insgesamt 1.271.973.333.898 US-Dollar. 

Das entspricht einem Wert von nahezu 1,3 Billionen Dollar, der vor einem Jahrzehnt noch nicht existierte. Im Gegensatz zu Fiat-Währungen oder Währungen, die von einer souveränen Regierung geprägt und in Umlauf gebracht werden, können Kryptowährungen grenzüberschreitend ohne Zwischenhändler getauscht werden – zumindest theoretisch.

In Wirklichkeit wächst die Branche schnell und stößt auf Einschränkungen durch staatliche Regulierungsbehörden, technologische Grenzen und Unbeständigkeit. Dennoch steht die rasche weltweite Verbreitung von Kryptowährungen vor einem Umbruch, der die Selbstidentifikation der Menschen und die Art und Weise, wie Länder ihr Geld verwalten, für die nächsten Jahrzehnte beeinflussen könnte.

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