NFTs on Wheels - Alfa Romeo launcht erstes Auto mit NFT
Jun 01, 2022 Peter Seipel lesezeit 4 MIN
Autos und NFTs gehen überraschende Verbindungen ein. Virtuelle PS-Boliden werden als digitale Sammelobjekte gehandelt, im Real Life rollt gerade das erste Serienfahrzeug mit NFT-Feature in die Schauräume. Am 4. Juni 2022 feiern Alfisti, die Fans der Automarke Alfa Romeo, gemeinsam mit Krypto-Enthusiasten eine Weltpremiere. An diesem Tag wird das neue Modell „Tonale“, ein schnittiges SUV aus Turin, am europäischen Markt eingeführt – das allererste Automobil mit NFT-Technologie an Bord.

Alfa Romeo CEO Jean Philippe Imparato schwärmt von einer Revolution, einer Verwandlung („la metamorfosi!“). Er will den Tonale-Käufern „ein Markenerlebnis bieten, das nahtlos von der digitalen in die physische Welt und zurück reicht.“ Dafür haben die Ingenieure der italienischen Traditionsmarke tief in die digitale Trickkiste gegriffen und sich der Werkzeuge Cloud Computing, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen bedient.
Die vollmundigen Marketingversprechen regen die Fantasie an: Bekommt der Käufer eines Alfa Romeo Tonale eine digitale Kopie seines Autos, mit der er durchs Metaverse cruisen kann? Wird er automatisch Mitglied in einem exklusiven Alfisti-Club? Oder darf er nur seinem Avatar eine Kappe mit Alfa Romeo-Logo aufsetzen? Wir wollten es genau wissen und fragten den obersten Alfa Romeo Produktmanager Daniel Tiago Guzzafame, was es mit dem NFT des Tonale auf sich hat.
„Der Käufer eines Alfa Romeo Tonale erhält eine fälschungssichere, auf der Blockchain basierende Zertifizierung des Status seines Fahrzeugs“, erklärt Guzzafame. Unter anderem werden VIN (Vehicle Identification Number), Fahrzeugversion, Kilometerstand, Fahrmodi und -zyklen sowie der Batteriestatus bei Hybridversionen auf der Blockchain gespeichert. „Der Tonale-NFT ist ein Token, an dem sich zuverlässig ablesen lässt, ob sich das Fahrzeug noch in der gleichen Konfiguration befindet wie gleich nach der Produktion – also im Originalzustand“, so Guzzafame.
Keine Club-Mitgliedschaft also, und kein digitales Vehikel, mit dem man in der digitalen Parallelwelt Rennen fahren kann. Dafür bietet der Tonale NFT jedoch im Real Life einen echten Mehrwert. Dieser erweist sich vor allem dann, wenn das Fahrzeug weiter verkauft werden soll. Denn auf der Blockchain sind unter anderem der aktuelle Kilometerstand sowie alle durchgeführten Services und Reparaturen fälschungssicher dokumentiert – ein Feature, das Vertrauen bei Kaufinteressenten schafft und den Wert des Fahrzeuges zweifellos erhöht.
Der große Gebrauchtwagen-Schwindel
Bei jedem dritten Autos auf dem Gebrauchtwagenmarkt ist der Tacho manipuliert und zeigt eine um zigtausende Kilometer reduzierte Fahrleistung an – dies fand der deutsche Automobilclubs ADAC im Rahmen einer Untersuchung heraus, die im November 2021 veröffentlicht wurde. Die Betrüger steigern damit den Wert pro Auto um durchschnittlich 3.000 Euro. Der geschätzte Schaden summiert sich allein in Deutschland auf rund sechs Milliarden Euro pro Jahr.
Die ADAC-Techniker demonstrierten anhand dreier aktueller Fahrzeuge, dass die Fälschung des Kilometerstandes auch bei aktuellen Modellen ein wahres Kindespiel ist. Sie schlossen jeweils bei einem Ford Kuga von 2019, einem Opel Grandland X von 2020 und einem Peugeot 208 von 2019 ein handliches Diagnosegerät an den OBD (On Board Diagnose) Stecker der Fahrzeuge an. Solche Geräte werden legal im Internet um rund 150,- Euro angeboten. Auf dem Bildschirm riefen sie das richtige Menü auf und tippten mit den Eingabetasten den gewünschten Wert ein – fertig. Schon nach wenigen Minuten erschien auf dem Display des Fahrzeugs der getrickste Kilometerstand. In der kriminellen Praxis wird dieser oft bis zum Faktor 100.000 unter den tatsächlichen Wert gedrückt.
Wer einen gebrauchten Alfa Romeo Tonale kaufen will, kann zumindest auf diesem Wege nicht übers Ohr gehauen werden. „Wenn jemand den Kilometerstand des Tonale ändern würde, würde der NFT immer noch das Bild mit dem korrekten Kilometerstand anzeigen“, erklärt der Alfa Romeo Produktmanager. Auch andere illegale Manipulationen wie Chip-Tuning oder der Ausbau eines Abgasfilters zwecks Leistungssteigerung sind an den Daten ablesbar, die auf der Blockchain gespeichert werden. „Wir erwarten, dass sich der Markt für die Gebrauchtwagenzertifizierung in Richtung NFT/Blockchain entwickeln wird“, so Guzzafame.
Bei der Erstellung der Fahrzeug-spezifischen Token setzt der zum niederländischen Stellantis-Konzern gehörende Automobilhersteller auf das Polygon-Netzwerk, das auf der Ethereum-Plattform basiert. Polygon bezeichnet sich selbst als „Ethereum’s Internet of Blockchains“ und bedient sich der Layer-2-Technologie, bei der eine zweite Ebene sowie Sidechains die darunterliegende Ethereum-Blockchain entlasten.
Durch die Kombination der Skalierungslösung Plasma Framework und einer Proof-of-Stake-Architektur laufen dezentrale Apps und die dazugehörigen Smart Contracts auf einer zweiten Ebene („Layer 2“), die von der Polygon-Architektur bereitgestellt wird. Auf diese Weise kann Polygon statt der rund 15 Transaktionen pro Sekunde, die Ethereum schafft, über 65.000 Transaktionen pro Sekunde auf einer einzigen Sidechain verarbeiten und dabei neue Blöcke in weniger als zwei Sekunden bestätigen.
NFTs im Crashtest
Wer seiner Auto-Leidenschaft lieber in der virtuellen als in der realen Welt frönen möchte, hat heute schon mehrere Möglichkeiten, seinen Traum-Boliden als NFT zu erwerben. Dass damit nicht nur die Chance auf einen steigenden Sammlerwert, sondern auch das Risiko eines Totalschadens verbunden sein kann, zeigen drei aktuelle Beispiele:
- Mercedes-Benz beauftragte Anfang dieses Jahres das internationale Krypto-Kunst-Kollektiv ART2PEOPLE mit der Kreation einer Serie von NFTs für seine G-Klasse, den seit 43 Jahren gebauten ikonischen Geländewagen. An dem sinnigerweise „NF-G“ getauften Projekt beteiligten sich die Künstler*innen Roger Kilimanjaro, Charlotte Taylor & Anthony Authié, Antoni Tudisco, Klarens Malluta und Baugasm.
„Der Besitz einer Mercedes-Benz G-Klasse ist etwas ganz Besonderes“, sagt Can Florian Ahegger, der deutschstämmige Gründer von ART2PEOPLE, und weiter: „Exklusive Kunst zu besitzen, die wirklich einzigartig ist und die man in seiner digitalen Geldbörse aufbewahren kann, ist auch etwas ganz Besonderes – und die Symbiose aus beidem hebt das Ganze auf eine neue Ebene.“ Am 23. Jänner wurden die limitierten Auflagen der fünf NF-Gs auf der Plattform Nifty Gateway zu Preisen zwischen 222,- und 1554,- Dollar versteigert. Nach nicht einmal einer Stunde waren sie ausverkauft.
- Barrett-Jackson, das im US-Budesstaat Arizona ansässige Auktionshaus für Oldtimer und seltene PS-Boliden, versteigert auf dem Online-Marktplatz motoclub.io nun auch NFTs seiner automobilen Sammlerstücke. Anlässlich seines 50jährigen Bestehens offeriert Barrett-Jackson insgesamt 18 sogenannte SparkNFTs auf motoclub.io, welche an die Automobile aus Blech erinnern, die im Real Life unter den Auktionshammer kamen.
In der aus sechs Traumautos bestehenden ersten Serie der „50th Anniversary Collection“ finden sich ein Shelby Cobra aus 1967, ein McLaren Senna und ein Ford GT Heritage Edition aus 2019, ein Porsche 918 Spyder aus 2015, ein Mercedes-Benz 300SL Gullwing aus 1955 und eine Chevrolet Corvette, die 2023 auf den Markt kommen wird. Jedes der als exklusive Einzelstücke aufgelegten SparkNFTs enthält drei hochauflösende digitale Bilder und ein Video des ausgewählten Fahrzeugs.
Die Motoclub-Sammel-NFTs werden über die eigens geschaffene Plattform geprägt, verkauft und gehandelt, so dass die Käufer diese in ihrer eigenen digitalen Motoclub-Brieftasche sammeln können. Die Auktion der ersten sechs SparkNFTs ging Anfang April 2022 über die Bühne, die Versteigerungen der zweiten und dritten Serie folgen im Laufe dieses Jahres.
- Am 24. Mai 2019 ersteigerte ein anonymer Bieter für umgerechnet 111.000 US-Dollar einen virtuellen Formel-1-Rennwagen aus dem Rennspiel „F1 Delta Time“. Der Spielentwickler Animoca Brands lüftete schließlich die Identität des Käufers: Ein unter dem Pseudonym „Metakovan” auftretender Digital-Unternehmer hatte den virtuellen Rennwagen mit dem Titel 1-1-1 als NFT in der Hoffnung erworben, dass sich die Investition eines Tages bezahlt machen würde.
F1 Delta Time offerierte seinen Teilnehmern damals innovative Blockchain-Funktionen wie die Tokenisierung von Inhalten, Staking, Play-to-Earn und digitales Eigentum. „Bei NFTs geht es nur um Geschichten”, begründete Metakovan in einem Podcast von „Blockchain Gaming World“ sein Investment. „Der Wert liegt darin, dass sich andere Menschen für das Geheimnis hinter dem virtuellen Auto interessieren.”
Heute, knapp drei Jahre nach dem aufsehenerregenden Deal, ist der Traum geplatzt, der virtuelle Rennbolide gegen die Leitplanke gecrasht und in einem virtuellen Feuerball explodiert. Was war geschehen? F1 Delta Time musste im März dieses Jahres seinen Betrieb einstellen, nachdem Animoca Brands die Formel-1-Lizenz nicht erneuern konnte. Fazit: Die Token sind wertlos, ihre Eigentümer zumindest um eine Erfahrung reicher.
Revolte gegen die Datenmonopole
Zurück im Real Life, in dem man mithilfe der Blockchain-Technologie die Herkules-Aufgabe stemmen will, unseren blauen Planeten vor dem Untergang zu retten. „Mobility Open Blockchain Initiative“, kurz MOBI, nennt sich ein 2018 gegründetes Konsortium, dem nicht nur die weltgrößten Fahrzeughersteller, sondern auch Krypto-Netzwerke wie Ripple, Tezos, Etherum Alliance, Ocean Protocol und die IOTA Foundation angehören. Gemeinsam will man die Web3-Infrastruktur für eine dezentral organisierte Mobilität von morgen entwickeln, mit der sich gleichzeitig das Klima schützen und Geld verdienen lässt.
Ein Beispiel: Heute betreibt das Unternehmen Uber eine Plattform für Mobilitätsdienste, die sowohl Fahrtenplanung als auch Matchmaking, Vertragsabschlüsse, verschiedene Bewertungen für Fahrer und Mitfahrer, Zahlungen und vieles mehr durchführt. Im dezentralen Ökosystem der Zukunft würde dagegen der Fahrer die Plattform anheuern, und nicht umgekehrt. Laut MOBI Whitepaper würde dieser offene Zugang eine bessere Verwaltung der Datenrechte ermöglichen und zu mehr Wettbewerb führen, wovon schließlich sowohl Fahrer als auch Kunden profitieren.
Auch die selbstfahrenden „Roboterautos“ werden die Blockchain-Technologie nutzen, um ihre Insassen auf kürzestem Weg und unfallfrei an das gewünschte Ziel zu bringen. Die Sensoren der Fahrzeuge erzeugen riesige Datenmengen, die mit anderen Fahrzeugen sowie der Infrastruktur ausgetauscht werden. So können Routen geplant, Staus umfahren und Unfälle aus Unachtsamkeit oder Ablenkung des Lenkers vermieden werden.
Beim Wettbewerb um bessere Algorithmen für autonome Fahrzeuge hat die Nase vorn, wer die meisten und besseren Daten zu den Mobilitätsgewohnheiten der Menschen sammelt. Heute sind dies Tech-Riesen wie Google, Facebook, Amazon und Apple, die mit maschinellem Lernen einen gewaltigen Informationsschatz auswerten, den sie den Nutzern ihrer Anwendungen verdanken. Diese Machtkonzentration in wenigen Händen sei die „Erbsünde des Internets“, zitiert das MOBI Whitepaper den Autor und Futuristen Michael Casey.
Kein Wunder daher, dass sich Autohersteller wie Ford, BMW, Honda, Renault, Hyundai, Toyota, General Motors und Stellantis mit Zulieferbetrieben wie Bosch, Continental, ZF und Denso, aber auch mit Computer-Gigant IBM im MOBI Konsortium zusammengeschlossen haben, um den Daten-Monopolisten die Stirn zu bieten. Mittels Blockchains wollen sie die Zentralisierung aufbrechen und den Urhebern der Inhalte die Kontrolle über ihre persönlichen Daten und Rechte zurückgeben.
Die Absicht dahinter ist klar: Autofahrern, Car-Sharing-Nutzern und Taxi-Fahrgästen will man ein breites Angebot an Mobilitäts-Dienstleistungen offerieren. Der fette Kuchen darf in Zukunft nicht den Digital-Riesen aus dem Silicon Valley überlassen werden.