Ohne Spielregeln dem Untergang geweiht? Die Sicht einer Anwältin auf Kryptos
Mar 15, 2022 Jamie Nuich lesezeit 5 MIN
Die australische Anwältin Jamie Nuich argumentiert, dass wir bessere Krypto-Vorschriften brauchen, warum das so ist und welche Regulierungen sie als notwendig ansieht.
Während der Belagerung von Melos im Jahr 416 v. Chr. nahmen die Athener den Staat Melos ein, töteten alle gegnerischen Soldaten und verkauften die Frauen und Kinder als Sklaven. Die Melianer predigten die Notwendigkeit einer friedlichen Koexistenz, woraufhin die Athener sagten: Wir werden euren Staat einnehmen, weil wir stärker sind und es können.
Thukydides, der brillante Historiker und Vater der Spieltheorie, warnte uns damals, dass „… Recht … nur zwischen Gleichberechtigten geschaffen werden kann, während die Starken tun, was sie können, und die Schwachen das erleiden, was sie müssen.“
Auch wenn Vorschriften und Gesetze banal und politisch erscheinen mögen, spielen die zugrunde liegenden Rechtsgrundsätze eine wesentliche Rolle bei der Regulierung von Interaktionen und der Sicherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Beteiligten. Andernfalls kommt es zu unfairen Nullsummenspielen, wie sie bei der Belagerung von Melos stattfanden.
Wenn die Kryptowirtschaft ohne Rechtsstaatlichkeit und ohne die richtigen Rechtsgrundsätze existieren darf, müssen wir unsere rechtlichen Beziehungen mit pragmatischem Realismus und den harten Regeln der Spieltheorie regeln, wobei Gerechtigkeit und Moral als sekundäre Nebenprodukte behandelt werden.
Gesetze wirken wie unsichtbare Kraftfelder gegen solches Fehlverhalten. Im Wertpapier- und Wettbewerbsrecht beispielsweise schreckt das Gesetz schlechte Akteure ab, schützt Investoren und verleiht staatlichen Behörden Aufsichtsbefugnisse als eine Art „Schiedsrichter“, der den Spielstand überwacht und bei Bedarf ein Foul ausspricht.
Krypto-Regulierungen erhöhen die Akzeptanz im Mainstream
Bessere Vorschriften würden das Vertrauen in den Markt stärken, was zu einer breiteren Akzeptanz führen würde.
Tatsache ist, dass es viele interessierte Investoren und Entscheidungsträger in Unternehmen gibt, die auf die Genehmigung ihrer Regierung warten, Kryptowährungen anstelle von Fiat-Währungen zu verwenden. Wenn die Regierungen diesen Außenseitern jedoch kein grünes Licht und keinen rechtlichen Rahmen geben, werden sie vielleicht nie in Kryptowährungen einsteigen. Daher ist es dringend notwendig, eine bessere Regulierung zu schaffen und die Tore für eine breitere, allgemeine Umsetzung von Kryptos zu öffnen.
Der Mangel an alternativen Vorschriften hat dazu geführt, dass staatliche Beschlagnahmungen, Klagen und Durchsetzungsmaßnahmen die zentralen Instrumente der Behörden sind um Kryptos zu regulieren. Die Vollstreckung solcher Rechtsentscheide kann jedoch zur Stigmatisierung von Kryptos führen und das Vertrauen in den Markt noch weiter schwächen, anstatt sicherzustellen, dass Kryptowährungen die rechtlichen Grundlagen haben, die sie für ihr Wachstum benötigen. Schriftliche Gesetze und Vorschriften könnten dieses Problem lösen.

Kryptowährungen Legitimität verleihen
Verbesserte Vorschriften sind unerlässlich, um Kryptowährungen Legitimität zu verleihen. Vitalk Buterin schrieb letztes Jahr: „Die wichtigste knappe Ressource ist Legitimität.“
Regulierungen sind nur „Legitimitätssignale“ für Kryptos. Diese Signale werden jedoch mit großer Wahrscheinlich immer noch der größte Katalysator für die Akzeptanz im Mainstream in demokratischen Staaten sein.
Mehr und bessere Vorschriften würde es Krypto-Nutzer*Innen auch ermöglichen, Krypto-Vermögenswerte und -Rechte mit den Genehmigungen und rechtmäßigen Befugnissen lokaler Gesetze, Gerichte und staatlicher Behörden besser einzufordern und zu verteidigen, wodurch die verifizierte Legitimität von Kryptos erhöht würde. Mit dezentralen Regeln in der Kryptowirtschaft wird es das nicht geben.
Ausbreitung von Kryptowährungen
Mit der zunehmenden Ausbreitung von Währungen sind bessere Krypto-Regelungen wichtiger denn je. Mittlerweile sind über 10.000 Kryptowährungen im Umlauf, was einem Anstieg von fast 30 % gegenüber November 2021 entspricht. Dieser Anstieg ist unkontrollierbar, vor allem, wenn zu viele Tokens keinen Nutzen oder Wert unabhängig von ihrem Hype haben.
Staatliche Regulierungen könnten dieses unkontrollierte Wachstum von eindeutig zweifelhaften Kryptowährungen stoppen, damit der Kryptomarkt nicht mit wertlosen Währungen überschwemmt wird.
Stablecoins
Ein Bereich, in dem fehlende Regulierungen das Vertrauen des Marktes zu Recht beeinträchtigen, sind die Stablecoins (engl. stabil), bei denen es bekannte Probleme mit deren Reserven gibt.
Im Jahr 2021 wurde Tether mit einer Geldstrafe von 41 Millionen Dollar belegt, weil es die Öffentlichkeit falsch über deren Reserven informiert hatte. Wenn ein Stablecoin wie USDT es verabsäumt, Reserven zu halten, und genügend Investoren gleichzeitig Geld einzahlen, könnte dies zu einem Zusammenbruch der Kryptomärkte führen. Wie auch immer, Stablecoin-Regulierungen sind ein Muss, um sicherzustellen, dass die Kryptomärkte nicht zum Scheitern verurteilt sind.
Was passiert, wenn es keine Krypto-Vorschriften gibt?
Das Fehlen geeigneter Gesetze und Vorschriften wirkt sich auf Kryptos in Form von Betrug, Schneeballsystemen, Abzocke (der DAO-Angriff), Marktmanipulation, ‘Pump and Dumps’ (engl. Aufblasen und Wegwerfen), insbesondere durch “Wale” (große, einflussreiche Finanzakteure), Insolvenzen, Insiderhandel usw. aus.
Wenn in der Kryptowirtschaft keine Rechtsstaatlichkeit herrscht, dann geben Staaten den Krypto-Nutzer*Innen das Zeichen, dass sie nicht besser dran sind als die Melianer bei der Belagerung von Melos und sie die Dinge genauso gut selbst in die Hand nehmen können, um ihre Interessen zu schützen. Staatliche Regulierung ist notwendig, um eine angemessene Kontrolle der zentralisierten Behörden zu gewährleisten, die Kryptowährungen betreiben oder sich damit beschäftigen.
Vor der Kryptowirtschaft hatten zentralisierte Stellen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen (z. B. treuhänderische Pflichten, Finanzberichterstattung und Anforderungen an die Unternehmensführung). Der Grundgedanke war, den Machtmissbrauch zu begrenzen und die mit der Zentralisierung der Macht verbundenen Risiken zu minimieren.
Aber Kryptos und insbesondere DeFi sind weitestgehend unkontrollierte Spielfelder. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass zentralisierte Mächte in einer Kryptowirtschaft und im DeFi-Bereich ohne angemessene Kontrollen und Gegengewichte agieren können. Diese Entitäten könnten nach alten Paradigmen regiert werden, aber diese alten Kontrollen und Gegengewichte wurden nicht für die neuen Risikoprofile einer Kryptowirtschaft geschaffen.
Im schlimmsten Fall könnten zentralisierte Einheiten in einer Kryptowirtschaft sogar mehr Macht ausüben als Staaten.
Ohne angemessene Regulierung könnten Unternehmen, VCs (engl. Venture Capitalists) und ihre Rechtspartner einfach Krypto-Ökosysteme ohne Kontrollen und Gegengewichte an sich reißen, bis zu einem Punkt, an dem sie mehr Macht ausüben als Regierungen, ohne sich vor irgendjemandem verantworten zu müssen. Bis dahin haben wir den letzten Anschein von Demokratie hinter uns gelassen und sind in einen ausgewachsenen Techno-Feudalismus übergegangen.
Die Kryptowirtschaft braucht dringend die richtigen Vorschriften, um solche unumkehrbaren Szenarien in der Zukunft zu verhindern.
Abschließende Überlegungen
Staatliche Krypto-Regulierungen mögen wie eine lästige Pflicht für Krypto-Investoren erscheinen. Aber wir brauchen sie. Nicht nur, um die Verbreitung von Kryptowährungen voranzutreiben, sondern auch, um das richtige rechtliche Umfeld für das Wachstum von Kryptowährungen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Rechtsstaatlichkeit am Kryptomarkt genauso vorherrscht wie sie es in einem idealen, demokratischen Staat tut.